Es fällt mir nicht schwer, Nyborg zu verlassen, auch wenn ich noch ein paar schöne Ecken gefunden habe. Zuerst geht es Richtung Osten aus der Bucht heraus, südlich von Knudshoved und am alten Fährhafen vorbei zum westlichen Teil der Großen Belt Brücke. Die maximale Durchfahrtshöhe des westlichen Brückenteils beträgt 16,9 m im bezeichneten Fahrwasser. Es gibt einen Brückenbogen nach Norden und einen Brückenbogen nach Süden. Bei der Durchfahrt muss man die Fahrtrichtung des TSS einhalten, unter den Bögen daneben darf auch gekreuzt werden. Je nach Höhe des Mastes kann man die Brücke also auch jenseits des offiziellen Fahrwassers passieren. Auf dem Weg zur Brücke werde ich immer langsamer, zum einen lässt der Wind nach, zum anderen komme ich aus der Abdeckung und gerate in die südsetzende Strömung. Die Geschwindigkeit sinkt unter einen Knoten. Ärgerlich. Eigentlich wollte ich es schaffen, die Brücke zu durchsegeln, nun muss ich meinen Motor bemühen. Bei etwa 1 ktn Strom motore ich mit 2,5 ktn durch die Brücke. Direkt nördlich rolle ich die Fock wieder aus und mache ein paar Holeschläge unter Land, bis ich Kerteminde direkt anliegen kann. Nun kommt der Neerstrom unter Land zum tragen. Mit Schrick in der Schot und kaum Ruderdruck mache ich bis zu 6 ktn Fahrt. Ein breites Grinsen in meinem Gesicht. Eine Strecke von 20 sm ist für solche Bedingungen viel zu kurz. Beim Ansteuern von Kerteminde muss ich mich etwas konzentrieren. In der letzten Woche sollen hier einige Yachten auf die im Bau befindliche südliche Steinmole aufgelaufen sein, weil sie die Sperrtonnen ignoriert oder übersehen hatten. Da ich den Hafen sowieso noch nicht kenne, halte ich mich gleich nördlich. Der Hafen ist recht beliebt und auch schon gut gefüllt, durch die Bauarbeiten stehen wohl weniger Liegeplätze als sonst zur Verfügung. Und noch sind Ferien in Dänemark. Nach einiger Suche finde ich wieder einen maßgeschneiderten Platz. Der Hafen ist schön angelegt mit vielen Grillplätzen, guten Sanitäranlagen und einem Strand ganz in der Nähe. Außerdem gibt es einen Yachtausrüster und eine hübsche kleine Innenstadt. Supermarkt und Tankstelle sind fußläufig zu erreichen. Auf der Suche nach einem Abendessen laufe ich am Stadthafen entlang, wo gerade die Thor Heyerdahl festgemacht hat. Gegenüber liegt der Fischereihafen, wo es eine Räucherei geben soll. Die hat allerdings schon geschlossen. Ein Stück weiter finde ich ein Bistro mit verschiedenen Fischgerichten. Es ist ein schöner Sommerabend und es ist gut besucht. Ein älterer Herr spielt auf einem Akkordeon dänische Seemannslieder; es ist sehr gemütlich. Ich fühle mich wohl hier, also bleibe ich noch eine weitere Nacht, die allerdings recht unruhig wird. Neben mir hat ein Boot einer dänischen Pfadfindergruppe festgemacht und Bordwand an Bordwand feiern die Jugendlichen bis 3 Uhr nachts. Der Alkohol zeigt den Jungs ihre Grenzen auf. Am nächsten Morgen brechen sie etwas überstürzt mit den anderen Booten ihrer Gruppe auf und vergessen dabei ihr Landstromkabel einzusammeln. Sie versuchen mit Macht und an meinen Seezaunstützen rumbiegend aus der Box zukommen. Während ich sie – die unruhige Nacht im Hinterkopf – wüst beschimpfe und ihre Kabeltrommel 30 Zentimeter über dem Wasser schwebt, erkennen sie, was sie da am Ablegen hindert und werden ganz kleinlaut.
Auch ich breche zu meiner nächsten Etappe zur Insel Samsø auf und bin erstmal recht langsam unterwegs, weil wenig Wind ist. Ein etwa gleich großes Boot überholt mich. Auf Höhe der Insel Remsø wird es noch flauer und ich warte auf den Wind, der gegen 13 Uhr und etwas südlicher kommen soll. Mein Kontrahent kommt mir nun unter Motor entgegen und ruft mir zu, dass er aufgibt und zurück nach Kerteminde fährt. Ich halte durch und werde tatsächlich mit dem versprochenen Wind aus Südost belohnt. Auf Samsø gibt es vier Häfen, zwei auf der Ostseite und zwei auf der Westseite. Der Hafen in Ballen im Südosten der Insel hat Kultstatus und soll immer ziemlich überfüllt sein. Da es nun schon später Nachmittag ist und die Wahrscheinlichkeit für einen guten Liegeplatz dort somit deutlich gesunken ist, entscheide ich mich für den südwestlichen Hafen Kolby Kås. Auch hier gibt es ein stillgelegtes Fährbecken und daran anschließend ein kleines Becken mit zwei Stegen, an denen Gäste festmachen können. An der langen Mole können größere Yachten längsseits anlegen. Der Ort bietet nicht viel: einen Selbstbedienungsgemüsestand, an dem ich Erdbeeren kaufe, eine kleine Campingfläche, einen Garagenkiosk und einen tollen Blick auf den Sonnenuntergang. Ich koche an Bord. Zur gleichen Zeit legen drei Boote mit jungen Leuten aus Hamburg an der Mole an. Sie erinnern mich in ihrer Crewzusammensetzung ein wenig an unsere ASV-Studenten. Auch sie turnen über alle drei Boote, kochen und essen gemeinsam und beschließen dann wegen des schönen Südwindes noch am selben Abend weiter nach Aarhus zu fahren. Was nun folgt, finde ich ziemlich spektakulär: ohne Nutzung eines Motors legen alle 3 Boote unter Spi wieder ab und verlassen den Hafen. Ganz kontrolliert und ohne Stress. Vom Nachbarsteg gibt es Szenenapplaus. Ich wandere noch mal auf die Mole und fotografiere den Sonnenuntergang. Am nächsten Vormittag fahre ich mit dem Fahrrad etwas über die Insel, es gibt mal wieder einen Leuchtturm zu besichtigen, diesmal kann er sogar bestiegen werden. Auf dem Rückweg zum Hafen biege ich auf einen Campingplatz ab, wo ich mir ein Eis erhoffe, aber leider nicht fündig werde. Es ist ein toller Platz mit Pool, Trampolinen und wahnsinnig vielen anderen Spielangeboten für Kinder. Doch trotz der dänischen Ferien stehen nur eine handvoll Wohnmobile auf dem Platz. Das soll die Hochsaison sein?
Gegen 14 Uhr lege ich ab, um in das etwa 10 Seemeilen nördlich liegende Mårup zu fahren. Der wenige Wind kommt weiterhin aus Süd und ich segle nur unter Gennaker mit 2,5 Knoten. Im Wasser schwimmen Massen an Feuerquallen. In einigem Abstand tauchen immer wieder einige Schweinswale auf und pusten. Wenn das Wasser fast glatt ist, kann man sie am besten sehen. Auf dem Weg nach Mårup kreuze ich das Fahrwasser der Fähre zwischen Hou auf dem Festland und der Insel Samsø. Dank des AIS, das ich im Zuge meines Elektroprojektes im Frühjahr noch eingebaut habe, kann ich die Fähren auf dem Bildschirm viel früher sehen, als auf dem Wasser und auch viel besser abschätzen, wie dicht wir uns begegnen werden und ob ich vielleicht sogar meinen Kurs ändern muss. Die Berufsschifffahrt hat immer Vorfahrt und mit so einer Fähre legt man sich besser nicht an; im besten Fall wird man böse angehupt. Der Wind schläft zwei Seemeilen vor dem Hafen komplett ein, also muss wieder der Motor ran.
Der Hafen von Mårup ist mit 70 Liegeplätzen klein und gemütlich. Die Boxen sind breit und länger als die Gasse breit ist. Das führt dazu, dass die größeren Yachten schlecht in die Boxen kommen und millimetergenau arbeiten müssen. Mit viel Getöse der Bugstrahlruder, Leinenarbeit und Hilfe von den Stegen findet aber jeder einen Platz. Auch in diesem Hafen gibt es alles, was man braucht: eine Seglerstube mit Kochmöglichkeit, viele Grillplätze, Waschmaschinen, eine kleine Gastronomie und einen Strand. Der eigentliche Ort liegt ca. 1,5 Kilometer entfernt. Dort gibt es einen Supermarkt, eine Tankstelle, drei Cafés und viele Sommerhäuser.
Am nächsten Morgen laufe ich in den Ort und weiter auf die Ostseite der Insel durch eine Siedlung mit Sommerhäusern zu einem weißen, menschenleeren Strand. Hier liege ich bestimmt zwei Stunden im warmen Sand und blinzle immer mal wieder aufs Wasser hinaus. So habe ich mir den dänischen Sommer vorgestellt. Das Wetter ist super, bisher hat es auf der gesamten Reise kaum geregnet, Socken und feste Schuhe habe ich seit Wochen nicht getragen, dafür lösen sich meine Birkis langsam auf. Meine Haare sind richtig blond geworden und ich bin so braun, dass selbst meine Ohrstecker helle Abdrücke auf meinen Ohrläppchen hinterlassen haben. Ich liebe den Sommer, wenn man morgens nur in T-Shirt, Shorts und Latschen schlüpfen muss und damit bestens angezogen ist.
In Dänemark braucht man mittlerweile eigentlich kein Bargeld mehr. In jedem noch so kleinen Geschäft kann man mit Karte zahlen. Oder mit MobilePay, das man aber nur nutzen kann, wenn man ein dänisches Konto hat. Auf Samsø braucht man aber dringend Kleingeld, denn auf der von Landwirtschaft geprägten Insel gibt es vor den Höfen viele Gemüsestände mit Kasse des Vertrauens, an denen man sich mit frischem Obst und Gemüse und Blumen eindecken kann.
Als ich am nächsten Tag mit dem Fahrrad in den Norden der Insel zu einem Aussichtspunkt fahre, riecht es sehr nach Zwiebeln, die auf dem Feld am Straßenrand gerade in großem Stil geerntet werden. Ich kämpfe mit den vielen Hügeln, aber auf der Nordspitze angekommen werde ich von einem tollen Blick aufs Kattegat belohnt. Auf dem Rückweg halte ich im Ort Nordby und stelle mich in eine unglaublich lange Schlange am Eisladen an und genieße dann das Eis auf einer Wiese am Dorfteich. Abends am Hafen grille ich eine Gemüsepfanne mit Feta und ein paar Steaks, die Grillplätze werden dabei nachbarschaftlich geteilt, so kommt man auch mit den anderen Crews leicht ins Gespräch. Es herrscht eine schöne Stimmung. Insgesamt bleibe ich vier Tage in Marup. Nebenbei beschäftige ich mich meiner weiteren Route.
Ich möchte möglichst weit nach Norden kommen, wenn es der Wind zulässt. Noch immer bin ich etwas argwöhnisch wegen meines Außenborders, obwohl er mir zuletzt keine Probleme mehr gemacht hat, zuverlässig angesprungen ist und ich mittlerweile auch weiß, wie ich ihn mit ein paar Tricks doch noch dazu überreden kann anzuspringen. Die viele gelobte Insel Anholt wäre ein schönes nördlichstes Ziel, aber die Berichte über die Überfüllung des Hafens schrecken mich doch etwas ab. Außerdem möchte ich kein Risiko eingehen irgendwo einzuwehen, weil ich Mitte August in einem Hafen mit guter Zuganbindung sein will, um zur Beisetzung nach Deutschland zu fahren.